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Von – 12. September 2012

„Vieles wird zugänglich, manches bleibt fremd“

Was bedeutet die multireligiöse Gesellschaft für die großen christlichen Kirchen? Ein Gespräch mit Gabriele Scherle und Joachim Valentin. Teil 1: Die Zusammenarbeit im Rat der Religionen.

Gabriele Scherle, Pröpstin für Rhein-Main, und Joachim Valentin, der Leiter des Hauses am Dom, im Gespräch mit „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Rolf Oeser

Frau Scherle, Herr Valentin, seit über zwei Jahren arbeiten die verschiedenen Religionen in Frankfurt in einem Rat zusammen. Sie beide vertreten dort die großen christlichen Kirchen, die evangelische und die katholische. Welche Erfahrungen machen Sie?

Scherle: Für mich ist es eine großartige Erfahrung zu sehen, dass über die Begegnung auch das Verständnis füreinander wächst. Die Fremdheit ist ja doch groß, aber weil wir uns aufeinander einlassen, wachsen mir die Menschen auch ans Herz. Und dann will ich sie auch besser verstehen. Vieles wird so zugänglich, manches bleibt mir aber auch fremd. Es tut einer Stadtgesellschaft einfach gut, wenn es viele Menschen gibt, die ein bisschen mehr voneinander wissen.

Valentin: Für mich ist ein ganz wichtiges Wort „Vertrauen“. Es ist unter den Religionen in Frankfurt Vertrauen gewachsen. Leider wird das Thema Religion in der Öffentlichkeit häufig als konfliktbeladenes Thema diskutiert, sei es beim Moscheebau, bei den Salafisten oder bei der Feiertagsregelung in Hessen. Das hat natürlich auch etwas mit den Medien zu tun, die gerne die schlechten Nachrichten zur Nachricht machen. Wir erleben im Rat der Religionen aber etwas anderes. Es gibt dort Solidarität, es gibt ein großes Verständnis dafür, dass jemandem Riten und Werte wichtig sind, dass manche sich skeptischen Blicken aussetzen durch eine ungewöhnliche Lebensweise oder durch ein ungewöhnliches Aussehen, wie die Sikhs mit ihren Turbanen oder die Kopftuch tragenden muslimischen Frauen oder die orthodoxen Juden und Jüdinnen. Es gibt bei aller Unterschiedlichkeit doch schon eine gemeinsame Lebensweise, nämlich die, dass man religiös ist. Im Grunde findet dort etwas statt, das an vielen anderen Stellen auch stattfinden müsste, nämlich ein offener Austausch über Glaubensfragen, und dabei eben gerade auch über die Punkte, an denen man unterschiedlicher Meinung ist.

Wird das Vertrauen manchmal auch auf die Probe gestellt?

Scherle: Es gab einen Konflikt um die Haltung gegenüber Menschen, die homosexuell sind und leben. Für mich war das eine ganz schwierige Situation, weil die große Mehrheit im Rat die gleichgeschlechtliche Liebe aus religiösen Gründen ablehnt. Aber mich hat letztlich doch beeindruckt, dass trotz unterschiedlicher Sichtweisen und harter Auseinandersetzung das Vertrauen nicht zerstört wurde. So schwer es zum Beispiel für einige Muslime war, dass ich eine so klare Position zur Homosexualität vertrete, so haben sie mir doch abgenommen, dass ich das nicht einfach nur so sage, sondern als Christin verantworten und theologisch begründen kann. Und das öffnet auch Perspektiven für den Dialog.

Valentin: Ich fand es gut, dass Sie beim Thema Homosexualität so stark gegen Diskriminierung eingestanden sind. Es war schön, zu sehen, wie die anderen Ihre Position ernst genommen haben und nicht gleich gesagt wurde: Ihr seid ja verwestlicht und säkular. Ich denke auch, dass gegenüber uns als Vertretern der Kirche bei manchen heiklen Themen ein größeres Vertrauen da ist als gegenüber irgendjemandem Säkularen, weil man uns abnimmt, dass wir einen Gottesglauben vertreten. Ich glaube aber auch, dass langfristig Lernprozesse in alle Richtungen stattfinden werden. Es ist keine Einbahnstraße nach dem Motto: Wir Christen sagen den anderen, wo es langgeht. Dialog heißt, dass man den anderen ernst nimmt, alles andere ist Fake, Spiegelfechterei und heuchlerisch.

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Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 12. September 2012 in der Rubrik Menschen, Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.