Hinweis

Diese Website wurde am 28. November 2017 archiviert. Neues Online-Angebot: Evangelische Kirche in Frankfurt.

Aktuell

Von – 28. November 2011

Falsche Weichenstellung bei Pfarrstellen

Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von "Evangelisches Frankfurt".

Nach neuen Planungen der hessen-nassauischen Kirchenverwaltung sollen bis 2025 in Frankfurt vierzig Prozent der Gemeindepfarrstellen gestrichen werden. Also fast jede zweite. Auf dem Land sind es nur zwanzig Prozent.

Dass gekürzt werden muss, ist klar. Die großen Kirchen verlieren rasant an Mitgliedern. Was nicht einmal daran liegt, dass so viele Menschen aus der Kirche austreten, sondern daran, dass es unter den Sterbefällen viel mehr Evangelische gibt als bei den Geburten. Diesem demografischen Faktor ist nicht beizukommen, man muss sich schlicht darauf einstellen. Außerdem studieren immer weniger junge Menschen Theologie, und sie stehen einer sehr großen Zahl von Pensionierungen in den kommenden Jahren gegenüber. Es gibt also gar nicht genug Personal.

Die Frage ist aber nun: Wie soll die Kirche ihre Infrastruktur, ihre personellen Ressourcen auf die neuen Gegebenheiten ausrichten?

Der jetzt vorgeschlagene Weg stellt dabei völlig falsche Weichen. Er versucht, die kirchliche Präsenz auf dem Land so gut es geht zu erhalten, während in den Städten die bisher vorhandenen Strukturen ausgehöhlt werden.

Auch wenn formal natürlich „allgemeingültige“ Kriterien zur Anwendung kommen: In die Berechnung von Pfarrstellen soll zukünftig nicht nur die Pro-Kopf-Zahl der Gemeindemitglieder einfließen, sondern auch die Fläche, für die ein Pfarrer oder eine Pfarrerin zuständig ist. Regionen im ländlichen Bereich werden also mit mehr Stellenanteilen bedacht als Städte, wo viele Menschen auf engem Raum leben.

Wie realistisch die dahinter stehende Annahme ist, dass man in der Stadt schneller unterwegs ist als auf dem Land – also ohne Ampeln, Staus und Parkplatzsuche – sei mal dahin gestellt. Viel erschreckender ist, dass bei diesen Rechenspielen ein ganz wichtiger Faktor überhaupt nicht berücksichtigt wird: die Gesamtbevölkerungszahl. Also das Verhältnis zwischen den Evangelischen und den anderen – auch das wäre ja ein mögliches „hartes, objektives“ Kriterium.

Denn ob eine 2000-Seelen-Gemeinde in einem 3000-Seelen-Dorf beheimatet ist oder in einem 15000-Seelen-Stadtteil, ist ja schon ein Unterschied. Sollte man meinen. Doch wie es aussieht, ist man in der Kirchenverwaltung der Ansicht, dass eine Pfarrerin nur für ihre evangelischen Schäfchen da ist. Sollen also kirchlichen Angebote nicht mehr allen Menschen offen stehen? Will man in Zukunft Taufscheinkontrollen an der Eingangstür machen?

Es geht hier bei weitem nicht nur um Zahlen. Was Gemeindearbeit bedeutet in einer Situation, in der der eigene Glaube nur noch von einer Minderheit geteilt wird, ist eine konzeptionell völlig neue Herausforderung für die ehemaligen großen Volkskirchen. Wenn man nicht mehr nur zu den Bekehrten predigt, muss man nämlich viel überzeugender sein. Man muss sich aus dem eigenen Saft befreien, muss sich auf andere einlassen, muss zum Beispiel mit Moscheegemeinden kooperieren und mit Atheisten debattieren.

Aber all sowas – so sagt es die Logik der geplanten Pfarrstellenbemessung – gehört nicht zu den Aufgaben eines Pfarrers. Er soll es den weniger werdenden Evangelischen in ihren Kerngemeinden schön kuschelig machen und die böse Welt da draußen sich selbst überlassen.

Man kann das natürlich so machen. Die Konsequenz wird aber sein, dass die evangelische Kirche, und zwar völlig zu Recht, rapide an gesellschaftlicher Bedeutung und Einfluss verlieren wird. Und das nicht nur in der Stadt. Denn in zwanzig Jahren werden die Verhältnisse auf dem Land ganz ähnlich sein. Und dann wird man mit leeren Händen da stehen.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 28. November 2011 in der Rubrik Meinungen, erschienen in der Ausgabe .

Artikel teilen: E-Mail Facebook Twitter Google+

Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.

Kommentare zu diesem Artikel

  • Landpfarrer schrieb am 18. November 2011

    Liebe Freu Schupp,

    ich kann Ihren Gedanken nicht zustimmen. Das hat verschiende inhaltliche Gründe, wie hier kirchliches Leben in urbanen und in ländlichen Räumen idealisiert und bewertet werden. Da ließe sich aus Sicht der ländlichen Pfarrer sicher manches korrigieren, denn es geht zB nicht um Fahrzeiten, sondern um erkennbare Lebenszusammenhänge. Die Probleme stellen sich auch nicht bei Dorfgemeinden, wie Sie sie beschreiben. Da würden sich die „Evangelischen“ wegen der „vielen anderen dazwischen“ in der Stadt eventuell sogar auf mehr Fläche verteilen, als im evangelisch konzentrieten Dorf – mir scheint das also ein recht plakativ genutzes (Schein-)Argument. Es geht um Pfarrstellen, die (um auf 1400 Evangelische zu kommen) derzeit schon 11 einzelne Dörfer betreuen müssen. Aber hier könnte und müsste man sicher diskutieren.

    Was ich aber sehr problematisch finde ist, dass Ihre Gedanken der Kirchenleitung unterstellen, sie würden gegen die urbanen Räume agieren. Die Annahme, dass die Kirchenleitung in einer sehr schwierigen Abwägung allen in der Kirche gerecht werden wollen, wäre eine meines Erachtens angemessenere. Dann kann man auch sachlich argumentieren und muss nicht polemisch Positionen schlecht machen und Neid schüren.

    Mit besten Grüßen vom Lande.

  • Antje Schrupp schrieb am 18. November 2011

    Dass die Situation auf dem Land sicher auch nicht einfach ist, sehe ich durchaus. Ich denke auch nicht, dass es hier um Neid geht, mir geht es eher um eine strategische Standortbestimmung. Richten wir kirchliche Ressourcen allein auf die Versorgung der Kirchenmitglieder aus oder geht es auch um eine Wirkung in die Gesamtgesellschaft hinein? Dafür wäre eben das Verhältnis von Mitgliedern/Nicht-Mitgliedern in einem Dekanat aus meiner Sicht ein weiteres notwendiges Kriterium zur Pfarrstellenbemessung. Zumal ja die innerkirchliche „Milieuverengung“ ein nicht ganz neues Phänomen ist. Ich sehe bei dieser Linie die Gefahr, dass das noch weiter verstärkt wird.

  • Welsch, Matthias schrieb am 19. November 2011

    Liebe Antje,
    das ist ein mutiger Artikel, ich bin froh, das das jemand deutlich ausspricht. Ein paar Sachen würde ich noch gerne ergänzen:
    -Taufscheinkontrolle an den Türen würde ja gar nicht ausreichen, denn ausgetretene Getaufte, die theologisch formal natürlich Mitglieder bleiben, werden ja nicht gezählt. Also Mitgliederbescheinigung wäre dann schon nötig und die Ausgetretenen exkommunizieren wir dann gleich auf diese Art (macht unser Meldewesenprogramm aber jetzt auch schon!).
    -Viel wichtiger wären aber bei der Bemessung der Stellen Fakten, die wenigstens annähernd die kirchliche Realität abbilden. Die beiden Faktoren Fläche und Mitgliederzahl, sagen leider gar nichts über die Realität der kirchlichen Arbeit, sie sind einfach nur ein ganz einfaches „Gießkannenprinzip“, das jede inhaltliche Überlegung durch Gleichmacherei ausschließt. Es gibt dann keine Pfarrer mehr, die gerne in Gemeinden mit Kindergärten gehen oder die sich um Alte in Pflegeheimen kümmern (davon gibts in der Stadt übrigens deutlich mehr, als auf dem Land), es gibt auch keine Gemeinden mehr, die überhaupt diakonische Einrichtungen vor Ort wahrnehmen (ist jetzt oft auch schon so), es gibt dann niemanden mehr, der sich um Ökumene oder gar interreligiösen Dialog kümmert, oder um Flüchtlinge … . Das ist nämlich offensichtlich im Bild von Kirche, dass sich die Kirchenverwaltung macht, alles so nicht vorgesehen, oder allenfalls Privatvergnügen von einigen Pfarrern. Jedenfalls sollen sich da nicht die Ortsgemeinden oder Dekanate drum kümmern.
    -Was auch noch anzumerken ist, ist dass die gemachten Annahmen zur Entwicklung von Kirche und Pfarrstellen wahrscheinlich eher den Charakter einer „selffulfilling prophecy“ haben anstatt sicher absehbare Wirklichkeit. Warum tun wir nicht viel mehr dafür, dass es Theologennachwuchs gibt? Meine Tochter studiert Theologie bei der Württembergischen Kirche, dort gibt es ein geradezu vorbildliches Nachwuchsprogramm (schon seit 450 Jahren von Melanchthon initiiert), ab der 9. Klasse kümmert man sich um den späteren Theologennachwuchs. Wo sind solche Programme in der EKHN, wenn es so eng wird, frage ich mich?
    Auch bei der Frage der Finanzierung von Kirche sind längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft und darüber hinaus die Prognosen auf so langen Zeitraum mehr als fragwürdig, vor allem, wenn man bedenkt, das kaum eine diesbezügliche Prognose der kirchlichen Finanzabteilungen in den vergangenen Jahren wirklich eingetreten ist (meistens wurde es mehr Geld, nicht weniger). Und wenn es nicht mehr von selbst mehr Geld wird, kann man etwas dafür tun! Wenn man aber den Pessimismus zum Prinzip erklärt und dann gleich bis 2025 festschreiben will, dann bin auch ich sicher, dass die Prognosen eintreffen, weil wir es so gewollt haben. Wie das geht, kann man ja bei Watzlawicks „Anleitung zum unglücklich sein“ nachlesen.
    Liebe Grüße
    Matthias Welsch (Pfarrer)