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Von – 17. August 2016

Gott mit allen Sinnen erfahren: die spirituelle Bedeutung von Glasfenstern

Farbloses Tageslicht gewinnt durch Glasmalerei Kontur und Leuchtkraft. Licht, Farbe und Form erzeugen im Kirchenraum eine besondere und dichte Atmosphäre, die anders nicht erreichbar ist.

Innenansicht der Jakobskirche in Bockenheim mit den Glasfenstern von Charles Crodel. Foto: Rui Camillo

Innenansicht der Jakobskirche in Bockenheim mit den Glasfenstern von Charles Crodel. Foto: Rui Camillo

Bunte Glasfenster in einer Kirche sind künstlerisch gestaltete Flächen des Lichteinfalls. Ihre Transparenz wird genutzt, um neben der Architektur selbst, den Friesen und Wandbildern des Innenraumes zusätzlichen Platz für eine besonders akzentuierte grafische Gestaltung zu schaffen. So weit eine nüchterne Beschreibung. Sieht man genauer hin, merkt man: Das farblose Tageslicht gewinnt durch die Glasmalerei Kontur und Leuchtkraft. Licht, Farbe und Form erzeugen im Kirchenraum eine besondere und dichte Atmosphäre, die anders nicht erreichbar ist. Das schenkt dem Raum seine ureigenste Ästhetik. Mit dem Lauf der Sonne wandern die von außen ins Innere projizierten Farbsprengsel durch den Raum und berühren und streifen regelrecht den Boden, die Einrichtung, die Sakralmöbel wie Altar oder Taufbecken, die Teilnehmenden eines Gottesdienstes.

Diese Berührung ist von einer besonderen Art, denn die Effekte der Glasmalerei sind nicht nur funktional und schön. Hinter ihnen steht eine theologische Konzeption: Die Quelle des in die Fenster einfallenden Lichtes ist Gott. Das Licht ist das erste Schöpfungswerk, es ermöglicht die Unterscheidung der Dinge und steht damit auch im übertragenen Sinn für Erleuchtung. In den gestalteten Glasfenstern wird die Erleuchtung konkret: Die Fenster erzählen von den großen Taten Gottes, vom Heil, von der Erlösung, von den Werken des Lichts. Durch das Licht setzt Gott selbst das alles in Szene, und die Betrachterin „sieht” das Wohltun Gottes und wird davon “berührt”, was im wörtlichen wie im übertragenen Sinn zu verstehen ist: Durch das Sehen nehmen die Menschen das Licht in sich auf; es berührt sie, indem es ihnen nahegeht.

Man wird sagen können: Durch die bunten Glasfenster spricht Gott selbst zu den Menschen, wie er durch das Wort der Heiligen Schrift spricht. Wie in der Bibel Menschen ihre Erfahrungen mit Gott mitteilen, so teilen Künstler in den Fenstern ihre Sicht des Evangeliums mit. Das Betrachten der bunten Fenster ergänzt auf diese Weise das Hören der Bibelgeschichten um eine weitere Sinneserfahrung und intensiviert es, macht es im Sehen auch erlebbar, denn „Sehen“ hat bekanntlich sehr viel mit Erleben und Erkennen zu tun. Nimmt man neben den Botschaften der Architektur noch die Musik und nicht zuletzt das Essen und Trinken beim Abendmahl hinzu, wird der Kirchenraum in einem sehr umfänglichen Sinn zu einem Ort der Kommunikation und damit der Wahrnehmung des Evangeliums. Hinter allem, was in diesem Raum mit den Sinnen zu erfassen ist, steht nichts Geringeres als Gott selbst. So ist der Kirchenraum ein besonderer spiritueller Raum der Gotteserfahrung und -nähe.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 17. August 2016 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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Wilfried Steller ist Theologischer Redakteur von "Evangelisches Frankfurt" und Pfarrer in Frankfurt-Fechenheim.