Hinweis

Diese Website wurde am 28. November 2017 archiviert. Neues Online-Angebot: Evangelische Kirche in Frankfurt.

Aktuell

Von – 19. November 2015

Willkommenskultur – Willkommensstruktur?

2015-07-KI-Seidel_Hoffmann-64386266

Pfarrerin Heike Seidel-Hoffmann hat einen Projektauftrag „Flüchtlingsseelsorge“ bei der Diakonie Frankfurt. Foto: Rolf Oeser

Es gibt bekannte Wörter und es gibt neue Wortkompositionen. Und es gibt Realitäten, mit denen man in der Arbeit mit vielen Geflüchteten in unserer Stadt und unserem Land tagtäglich umgehen muss.

Bei 80 von ihnen, die in einer Übergangsunterkunft in Frankfurt mit ambulanter Sozialarbeit und vielen freiwilligen Unterstützern in das Leben eines Stadtteils und einer Stadt integriert werden sollen, kann viel organisiert und auch praktisch umgesetzt werden: Hilfsangebote zum Deutschlernen, Sprachkurse, Freizeitangebote wie gemeinsames Kochen und Laufen.

Dabei lernt man sich kennen, nimmt Anteil am Schicksal und an der Situation von Menschen, die es schwer haben und deshalb ganz besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung brauchen.

Der 28-jährige Syrer Khaled* fällt mir ein, der nach seiner Ankunft in Frankfurt im Februar froh war, erst mal keine Waffe mehr in die Hand nehmen zu müssen: „Ich habe niemanden getötet“, beteuert er bei einem unserer ersten Gespräche im Stadtteil und fügt hinzu: „Ich war im Office des Militärs beschäftigt“. Sein Deutsch ist überraschend gut, er hat schon seine ersten 200 Stunden in der Frankfurter VHS absolviert. Durch die Unterstützung eines Anwalts gelingt es uns nach 8 Monaten, seine Eltern und jüngeren Geschwister aus Syrien direkt nach Deutschland zu bringen. Sie wohnen nun in Frankfurt an unterschiedlichen Orten, aber sie sind in Sicherheit. Jetzt kommt es darauf an, die Familie weiter zu begleiten.

Für Khaled wird es hier eine Zukunft geben. Ganz anders sieht es bei dem gleichaltrigen Ahmed* aus. Auch er ist 28 Jahre alt, war in Syrien als Englischübersetzer tätig und ist sehr gebildet. Geflüchtet ist er gemeinsam mit seinem Cousin Hussein*, der 25 ist und in Damaskus an der Uni bis zu seiner Flucht englische Literatur studiert hat. Beide lerne ich im September in einer Frankfurter Notunterkunft kennen, wo sie gemeinsam mit 250 anderen Menschen aus Afghanistan, Syrien und dem Irak leben – ohne jede Privatsphäre, in dauernder Anpassung an viele andere, die jeder für sich kämpfen, ihr Leben nach der Ankunft in Deutschland neu zu regeln. Angesichts der vielen Geflüchteten die ich dort sehe kommen mir Zweifel. Ist das wirklich zu schaffen?

Am 3. Oktober treffe ich Hussein und Ahmed, die sich für die Einheitsfeierlichkeiten rund um den Römer interessieren, in der Frankfurter Innenstadt wieder. In einem Café reden wir wie es weitergehen kann. Trotz der schwierigen Situation in der beide sind spüre ich eine starke gemeinsame Basis des Verstehens. „Bildung war für Syrien immer wichtig“, sagt Hussein. Von seinem Taschengeld hat er sich erstmal englische Literatur gekauft. Er wäre gerne in Damaskus geblieben. Doch jetzt, wo sein Land zerstört ist, sieht er sich seiner Zukunftschancen völlig beraubt. Ich versuche ihm Mut zu machen.

Später erfahre ich, dass er nach seiner Registrierung über die Hessische Erstaufnahme in eine Übergangsunterkunft hinter Darmstadt verlegt wurde, ebenso wie Ahmed, der 35 Kilometer von Frankfurt entfernt gelandet ist. Die Trennung macht beiden zu schaffen. Doch es gibt Menschen im Rhein-Main-Gebiet, die sich für ihr Schicksal interessieren und ihnen weiterhelfen wollen. Auch die kleinen menschlichen Netzwerke, die in der Flüchtlingsbegleitung gerade entstehen, brauchen eine Struktur im Hintergrund. Daran arbeite ich.

*(Namen geändert)

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 19. November 2015 in der Rubrik Meinungen, erschienen in der Ausgabe .

Artikel teilen: E-Mail Facebook Twitter Google+

Heike Seidel-Hoffmann ist Pfarrerin in der Maria-Magdalena-Gemeinde in Sachsenhausen.

Kommentare zu diesem Artikel

  • Bieber, Siegfried schrieb am 29. November 2015

    Frau Seidel-Hoffmann ist nicht mehr Pfarrerin in der Maria-Magdalena-Gemeinde, sonder hat einen Projektauftrag „Flüchtlingsseelsorge“ bei der Diakonie in Frankfurt.
    Bitte korrigieren, Danke

    mfG
    Siegfried Bieber