Hinweis

Diese Website wurde am 28. November 2017 archiviert. Neues Online-Angebot: Evangelische Kirche in Frankfurt.

Aktuell

Von – 28. Mai 2014

Die blaue Revolution

Wir sollen ständig über alles reden. Doch ein Wort ist verboten. Niemand darf es sagen. Natürlich taucht es als Vokabel auf, aber nicht als Sehnsucht: der Himmel.

Foto: Georg Magirius

Foto: Georg Magirius

Vom Himmel zu sprechen gilt als kindlich, unaufgeklärt, fundamentalistisch. Da kann man ja gleich Amok laufen, Flugzeuge entführen, Hochhaustürme sprengen. So gefährlich, peinlich und abgehoben will natürlich niemand sein. Da hält man sich lieber ans moderne Schweigegebot, nicht zuletzt auch in den Kirchen, die sich kurioserweise oft noch damit hervortun, den Schatz der himmelgroßen Mythen als überholt anzusehen, nur um nicht als unmodern zu gelten.

Na gut, vielleicht gehöre ich zu den Letzten, die ungeheuer gestrig, naiv und sehnsüchtig veranlagt ist. Jedenfalls finde ich eher das peinlich: All die technokratisch wirkenden Unternehmungen, das Hoffen auf Leichtigkeit in unser hiesiges Leben zu quetschen. Ich jedenfalls kann ohne Himmelslust nicht auf der Erde stehen.

Aber der Himmelsglaube sei doch Opium! Heißt es. Pure Jenseitsvertröstung, etwas für Dumme und Naivlinge! Wirklich? Die Gefahr einer Jenseitsvertröstung ist doch längst vorbei. Sie im Auftrag eines kollektiven Wiederholungszwangs hervorzuzerren, gerade das halte ich für furchtbar gestrig. Stattdessen droht man in einer neuen Opiumhöhle zu ersticken: der Diesseitsvertröstung.

Ich will kein Opium mehr, sondern mehr

Trotz der angebotenen Drogen konnte bislang allerdings noch niemand meine Himmelssehnsucht ausräuchern: Als ob meine Traumgelüste sich – um ein Beispiel zu nennen – vollständig im real existierenden Frankfurt (inklusive oder exklusive Offenbach) erfüllen könnten.

Und auch die angeblich höchste Aussicht irdischen Glücks, nämlich das Absolvieren diverser im Leben zu erringender Urlaubsaufenthalte, bereitet mir nicht jenen Frieden, den Musik innerhalb weniger Sekunden ahnen lassen kann: diese Himmelsrevolution, die mich aufscheucht und überirdisch beruhigt in einem.

Vertröstung der schlimmen Sorte

Ich bin Allergiker! Ausschlag bekomme ich, wenn diese Urkraft von Musik, Phantasie, Rausch und all die anderen blauen Hohheitsahnungen zu sogenannten kleinen Glücksgefühlen zurechtgestutzt werden. Oder in Appelle, sich gefälligst für ein etwas besseres Leben einzusetzen. Ich habe es nie kapiert, ich verstehe es nicht, ich werde es nie begreifen: Warum soll es denn immer nur „etwas besser“ sein und nicht gut? Das ist Vertröstung der schlimmen Sorte.

Ich glaube, der Blick in die Wolken und darüber noch hinaus macht kritisch und ungezügelt unabhängig wie vielleicht sonst nichts anderes. Und mir ist egal, ob man das fromm, mystisch, ultraorthodox, unkirchlich, maßlos ungesund, verträumt oder extremistisch nennt. Alles Etikette! Und was ist ein Etikett denn schon gegen einen Blick ins Überirdische.

Wer in den Himmel schaut, braucht das Hiesige nicht krampfhaft als gut verklären, wenn es erkennbar ungut ist. Es sind Kinder, die an den Himmel glauben. Einfach so. Und es ist ein Kind, das in Andersens Märchen sagt: Der Kaiser ist nackt! Die Klugen, Engagierten und stets Differenzierenden hatten des Kaisers neue Kleider zuvor beklatscht. Die politisch Konstruktivsten sind womöglich jene, die in Richtung Himmel schauen – und an der Lüge nicht vorbei.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 28. Mai 2014 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

Artikel teilen: E-Mail Facebook Twitter Google+

Georg Magirius ist Theologe und Schriftsteller und Kolumnist bei "Evangelisches Frankfurt". Mehr unter www.georgmagirius.de.