Modern, satirisch, fromm: Kein anderer deutscher Autor verbindet Religion und Literatur gegenwärtig wohl so intensiv wie er.
1999 hat Arnold Stadler den Büchnerpreis erhalten, die renommierteste Literaturauszeichnung im deutschsprachigen Raum. Heute wird er 60 Jahre alt. Sein Geburtstag sei der Todestag Bonhoeffers, sagt der katholische Theologe aus Rast über Meßkirch, der einen interreligiösen Heiligenkalender pflegt. Eine nicht unbedeutende Rolle für sein Werk spielt Frankfurt.
Was soll man ihm zum 60. Geburtstag wünschen? „Brigitte, zieh dich aus!“, hat er einmal phantasiert: Wenn das einer auf dem Geburtstag von Günter Grass vor dem Essen sagen würde, wäre das eine geringere Groteske als wenn jemand ein Tischgebet spräche. Ob an Stadlers Geburtstag ein Tischgebet zu hören ist? Der vielfach Ausgzeichnete, dem auch zwei Doktortitel eigen sind, würde sich freuen wie ein Kind.
Stadler hat katholische Theologie in München und Rom studiert. Priester ist er nicht geworden – aus Ehrfurcht, wie er sagt. Seine Literatur kann als Verneigung vor dem Heiligen verstanden werden. Christlich nett klingt das aber nicht, sondern oft satirisch, heftig, scharf. Doch immer ist da „ein Erbarmen“, freilich eines „mit dem Seziermesser“, mit dem er seine „kleinen Mitbestien“ begleitet.
Auf entscheidende Weise begleitet hat seine ersten Romane Elisabeth Borchers, die kürzlich verstorbene Lyrikerin, langjährige Suhrkamp-Lektorin und bekennde Protestantin aus Frankfurt. Doch das ist nicht der einzige Bezug zu Frankfurt. Ehe Stadler 1999 den Büchnerpreis erhielt, war er Stadtschreiber in Bergen, zu dem bis heute eine Verbindung besteht.
Was ist Liebe? Das Warten auf Liebe
Frankfurt ist auch ein Schauplatz im Roman „Komm, gehen wir“. Der Titel ist ein Zitat aus dem Neuen Testament: Jesus ruft den Zöllner Levi in – wie es kirchenterminologisch ausgedrückt wird – „die Nachfolge“. Im Roman sagt das Jim zu einem jungen Paar am Strand. Und sie gehen. Zu dritt verbringen sie eine rauschhafte Nacht im Hotel. Was folgt? Die lebenslange Suche nach Liebe, die sich schließlich findet, nämlich in der ahnungsvollen Erkenntnis, dass „die Liebe das Warten auf Liebe“ ist.
Bekannt ist Stadler auch wegen seiner Psalmenübertragungen, die im Inselverlag vielfach aufgelegt sind, darunter: „Die Menschen lügen. Alle“. Stadler selbst lügt nicht. Er fabuliert, ist ein eigenwillig wahrhaftiger Mensch. Vermeintlich unbedeutende Menschen oder banal erscheinende Dinge kann er in die überraschendsten Zusammenhänge transferieren. Und was eben noch den Mut beschwerte, hat eine unvorstellbare Leichtigkeit gewonnen.
Abseits der Juristenhirne
Dem Phänomen der Sehnsucht hat er einen eigenen Roman gewidmet. Sehnsucht – sie zieht sich freilich durch sein gesamtes Werk. Wirkt Stadler deshalb nicht abgeschlossen oder zugeknöpft? Mit einer unerschöpflichen Heiterkeit und Herzlichkeit kann er anderen begegnen. Nur dürfen es keine Juristenhirne sein, die das Glauben, Lieben und Hoffen in einem Regelwerk ersticken wollen.
Ich glaube doch auch, dass ich bei den Gläubigen, den wirklich Gläubigen, eine die Religionen transzendierende Grundstimmung vernehmen kann: Nämlich dass sie eine Sehnsucht haben nach dem Himmlischen, nach dem ganz Anderen. Sie können das auch Mystik nennen. Da treffen Sie im Islam, im Hinduismus, im Buddhismus, in der katholischen Kirche, auch bei den Protestanten Menschen, die so etwas wie profund gottesgläubig sind. Und in jeder Religion finden Sie Juristenhirne, die in irgendeiner Vorschrift die Religion erkennen und die Umsetzung für ein Glaubensding halten.“