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Von – 31. Januar 2014

„Es gibt viele Menschen, die durch Europa irren“

Flüchtlingsreferentin Hildegund Niebch über die Afrikaner in der Gutleutkirche, Armutsflüchtlinge in der Bibel und kirchliche Forderungen an die Politik.

Hildegund Niebch (56) ist Referentin für Flucht und Integration bei derDiakonie Hessen, die zusammen mit den beiden hessischen Kirchen im November 2013 die Praxishilfe für Kirchengemeinden „Flüchtlinge willkommen heißen, begleiten, beteiligen“ herausgegeben hat. Foto: Ilona Surrey

Hildegund Niebch (56) ist Referentin für Flucht und Integration bei derDiakonie Hessen, die zusammen mit den beiden hessischen Kirchen im November 2013 die Praxishilfe für Kirchengemeinden „Flüchtlinge willkommen heißen, begleiten, beteiligen“ herausgegeben hat. Foto: Ilona Surrey

Evangelisches Frankfurt: Das ehrenamtliche Engagement der Frankfurterinnen und Frankfurter für die 22 Afrikaner in der Gutleutkirche reißt nicht ab. Bundesweit nehmen immer mehr Kirchengemeinden Flüchtlinge auf. Überrascht Sie das?

Hildegund Niebch: Nein. Die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen, ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen. Und wo die Not groß ist, ist es die Hilfe oft auch. Viele Gemeinden haben Anfang der 1990er Jahre gute Erfahrungen mit der Aufnahme von bosnischen Kriegsflüchtlingen gemacht. Das ist bei  vielen noch sehr lebendig. Wobei man darauf hinweisen muss: Die Unterbringung der 22 obdachlosen afrikanischen Männer in der Frankfurter Gutleutkirche ist kein klassischer Fall von Kirchenasyl.

Warum nicht?

Zu einem Kirchenasyl entschließen sich Gemeinden nach reiflichem Überlegen dann, wenn sie davon überzeugt sind, dass den Flüchtlingen mit der Abschiebung eine lebensbedrohende oder ausweglose Situation droht. Mit der Aufnahme ins Kirchenasyl schiebt sich die Gemeinde quasi zwischen die schon getroffene behördliche Entscheidung zur Abschiebung. Sie will damit Zeit für Verhandlungen gewinnen, um ein Bleiben in Deutschland zu erreichen. Die Aufnahme der 22 Afrikaner in die Cantate-Domino-Kirche geschah sehr spontan. Christinnen und Christen waren empört, dass 22 Gestrandete im reichen Frankfurt unter einer Brücke leben müssen und keiner sich zuständig fühlt. Sie haben gehandelt und damit die  weitere Obdachlosigkeit im Winter verhindert. Erst jetzt wird mehr bekannt über die Motive der Männer und in der Beratung werden die Perspektiven geklärt.

Macht das die Hilfe in Ihren Augen weniger wertvoll?

Nein, absolut nicht. Es gibt viele Menschen, die durch Europa irren – manche als Schutzsuchende, andere als Wanderarbeiter. Sie fliehen vor Krieg, Verfolgung und Armut. Und sie scheitern an den europäischen Flüchtlingsgesetzen oder an den wirtschaftlichen Krisen, die die südlichen und südöstlichen EU-Staaten stärker getroffen haben als uns.

Haben Christinnen und Christen eine besondere Pflicht, diesen Menschen zu helfen?

Der Beistand für Flüchtlinge und Heimatlose ist ein urchristliches Thema. Die Bibel kennt alle möglichen Schattierungen des Unterwegsseins. Sie ist voller Geschichten von Menschen, die sich aus wirtschaftlicher Not oder politischer Unterdrückung auf den Weg machen. Die Umherirrenden heute erinnern uns an unsere eigenen biblischen Traditionen. Es ist gut, wenn sie uns berühren und zum Handeln bringen.

Was raten Sie einer Gemeinde, die plant, Menschen aufzunehmen?

Spontanes Handeln ist gut. Wer Zeit zum Planen hat, sollte sich mit Fachleuten von Diakonie und Kirche beraten. Schließlich geht es selten um ein paar Tage, sondern womöglich um Wochen und Monate.

Warum erfahren die mehreren hundert akut Verfolgten aus Syrien, die mittlerweile in Hessen sind, eigentlich keine so große Welle der Hilfsbereitschaft wie die 22 Männer in der Gutleutkirche, die seit vielen Jahren in Europa leben?

Für Flüchtlinge, die hier einen Asylantrag stellen oder Syrer, die aufgrund einer Entscheidung der Bundesregierung im Kontingent aufgenommen werden, sind zunächst staatliche Stellen zuständig. Sie müssen für Unterbringung und Finanzierung sorgen. Zivilgesellschaftliches Engagement ist dennoch gefragt. Das Thema Flucht beschäftigt viele Menschen in der Region, was auch dem großen Medienecho auf die Unterbringung der 22 Afrikaner zuzuschreiben ist. Bei mir rufen immer öfter einzelne oder auch Kirchengemeinden an, die Flüchtlinge unterstützen wollen.

Was wollen sie wissen?

Manche bieten Wohnraum an, die verweise ich an die Sozialämter. Andere fragen nach Unterstützung zum Aufbau von Asylarbeitskreisen oder planen Deutschkurse in Flüchtlingsunterkünften.

Kuchenbacken und private Rechtshilfe sind das Eine. Sollten die Kirchen auch konkrete politische Forderungen stellen?

Das sollten sie auf jeden Fall. Weil sie nah an den Menschen sind, wissen sie, was schief läuft. Deshalb müssen sie die strukturellen Hürden benennen und gesetzliche Änderungen anmahnen.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 31. Januar 2014 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe , .

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Anne Lemhöfer interessiert sich als Journalistin und Autorin vor allem für die Themen Kultur, Freizeit und Gesellschaft: www.annelemhoefer.de.

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