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Von – 3. Mai 2013

Eine Recherche fürs Leben

Hartmut Schmidt erforscht den Umgang der evangelischen Kirche mit ihren Mitgliedern jüdischer Herkunft im Nationalsozialismus. Die deutsche Erinnerungskultur findet er teils „unerträglich“.

Hartmut Schmidt. Foto: Ilona Surrey

Hartmut Schmidt. Foto: Ilona Surrey

„Was würde ich denn sonst machen? Verreisen? Wie langweilig“, sagt Hartmut Schmidt. „Ich bin unglaublich glücklich, dass ich eine Aufgabe sehe, der ich mich nicht entziehen kann.“ Der frühere Redakteur des Evangelischen Pressedienstes ist zwar seit 2006 pensioniert, hat aber genug zu tun: Er erforscht die hessische Kirchengeschichte im Nationalsozialismus. Speziell interessiert den 70-Jährigen die Frage, wie die Kirche damals mit ihren Mitgliedern jüdischer Herkunft umgegangen ist.

Das Thema ist ihm vor inzwischen fast zwanzig Jahren begegnet. 1994 schrieb Schmidt eine Serie über die ersten Pfarrerinnen in Hessen. Dafür interviewte er auch Hilde Schneider, die Anfang der 1960er Jahre Pfarrerin im Frauengefängnis in Preungesheim ge­wesen war. Drei Stunden lang erzählte die damals 77-Jährige bei diesem ersten Treffen dem Journalisten von ihrem Leben – und Schmidt war sofort klar, dass er auf ein ganz neues Thema gestoßen war.

Biografie über Hilde Schneider

Hilde Schneider hatte als junge Frau eigentlich Diakonisse werden wollen, musste aber als „Nicht-Arierin“ das Mutterhaus in Hannover verlassen und war 1941 ins Konzentrationslager nach Riga deportiert worden. Hartmut Schmidt schrieb aber nicht einfach nur Schneiders Biografie auf, sondern recherchierte akribisch sämtliche Fakten nach, ebenso wie die Schicksale vieler anderer Menschen, denen Hilde Schneider begegnet war. 2001 erschien sein Buch „Zwischen Riga und Locarno“.

Zur Frage, wie die evangelische Kirche nach 1933 mit ihren Mitgliedern jüdischer Abstammung umgegangen ist, ist Schmidt inzwischen ausgewiesener Experte; 2002 hat er ein Forschungsprojekt mit initiiert, bei dem die hessischen Kirchen das Thema systematisch aufarbeiten. Er freut sich, dass auch viele Kirchengemeinden sich dafür interessieren. An einer Wanderausstellung im vergangenen Jahr zum Thema „Getauft, ausgestoßen – und vergessen?“ hätten sich viele engagierte Menschen beteiligt und die Debatte in ihre jeweiligen Stadtteile getragen.

„Es gibt das Gefühlt, wir hätten schon alles gelernt“

Weniger glücklich ist Schmidt hingegen mit der deutschen Erinnerungskultur generell. Manches, was da geschieht, findet er „unerträglich“. „In Deutschland ist man fast schon stolz, wie gut wir unsere Geschichte aufarbeiten“, sagt Schmidt. „Es gibt das Gefühl, wir hätten schon alles gelernt.“ Daraus entstehe dann zum Beispiel die Ansicht, besser zu wissen, wie Israel Politik machen soll. „Gerade unter Links-Intellektuellen ist Antisemitismus viel verbreiteter, als man denkt.“

Seit 2004 arbeitet Schmidt auch in der „Initiative Stolpersteine Frankfurt“ mit, die die Verlegung von Gedenksteinen vor den Häusern koordiniert, in denen Menschen ihren letzten Wohnsitz hatten, die später in Konzentrationslagern ermordet wurden; seit 2007 ist er deren erster Vorsitzender. Besonders bereichernd sei für ihn dabei die Begegnung mit Angehörigen, die teils von weit her nach Frankfurt kommen, wenn hier Steine für ihre Eltern oder Großeltern verlegt werden.

Vom Evangelischen Regionalverband ist Hartmut Schmidt kürzlich für sein Engagement mit der Spenermedaille ausgezeichnet worden.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 3. Mai 2013 in der Rubrik Menschen, erschienen in der Ausgabe , .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.

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