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Von – 21. Juli 2012

Weder Junge noch Mädchen: Umdenken in Sachen Intersexualität

Ein bis zwei Prozent aller Kinder haben bei der Geburt kein eindeutiges Geschlecht. Der Deutsche Ethikrat empfiehlt, Intersexualität anzuerkennen und chirurgische Eingriffe so lange wie möglich aufzuschieben.

Gott schuf die Menschen als Mann und Frau. Aber vielleicht nicht nur. Hier das Altarbild „Der Sündenfall“ von Michiel Coxcie (16. Jhd). Foto: epd-Bild

Der Fall ist gar nicht so selten: Ein bis zwei Prozent aller Kinder haben bei der Geburt kein eindeutiges Geschlecht. Das kann genetische Gründe haben (zum Beispiel statt xx- oder xy-Chromosomen eine xxy-Kombination) oder auch anatomische (einen sehr kleinen Penis oder eine sehr große Klitoris).

Bisher haben Ärztinnen und Ärzte in solchen Fällen meistens eine medizinische „Geschlechtskorrektur“ vorgenommen, manchmal sogar, ohne die Eltern einzubeziehen. Achtzig Prozent aller intersexuellen Menschen wurden in der Vergangenheit operiert – mit teilweise verheerenden Folgen. Vierzig Prozent der qua Operation zum Jungen oder zum Mädchen Gemachten befinden sich als Erwachsene in psychiatrischer Behandlung, viele klagen über ein gestörtes Sexualempfinden.

Kinder sollen selbst entscheiden

Das könnte sich in Zukunft ändern. In einer Stellungnahme hat sich der Deutsche Ethikrat jetzt hinter Selbsthilfeorganisationen gestellt, die diese chirurgischen Eingriffe schon lange kritisieren. Er plädiert dafür, alle Operationen, die nicht unbedingt lebensnotwendig sind, möglichst solange aufzuschieben, bis das Kind selbst entscheiden kann, ob es männlich oder weiblich ist – oder vielleicht auch keins von beidem.

Letzteres ist nach deutschem Personenstandsrecht bisher allerdings nicht möglich. Hier muss entweder „männlich“ oder „weiblich“ eingetragen sein. Der Ethikrat befürwortet, eine dritte Kategorie „offen“ oder „uneindeutig“ zu schaffen. Außerdem soll ein Fonds eingerichtet werden, um die Beratung für Eltern und Betroffene zu verbessern. Dafür sollen Kompetenzzentren errichtet werden, wo Fachleute aus verschiedenen Gebieten wie Endokrinologie, Hormonforschung, Gynäkologie, Urologie und Psychologie zusammenarbeiten. Nicht mehrheitsfähig war im Ethikrat die Forderung, dass auch intersexuelle Menschen Lebenspartnerschaften eingehen dürfen.

Die Natur macht keine eindeutigen Vorgaben

Pfarrer Kurt Schmidt vom Zentrum für Ethik in der Medizin am Markuskrankenhaus in Ginnheim begrüßt den Bewusstseinswandel. „Wir gehen üblicherweise davon aus, dass die Natur uns klare Vorgaben macht und wir daraus ablesen können, was richtig und falsch ist. Aber die Natur ist nicht eindeutig.“ Wie eine Gesellschaft mit solchen Phänomenen umgeht, sei immer eine ethische Entscheidung.

Theologisch gesehen gebe es keine Einwände dagegen, das starre Geschlechtersystem aufzubrechen – auch wenn laut Genesis Gott die Menschen „als Mann und Frau“ geschaffen hat. „Die biblischen Geschichten beschreiben ja, was Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit wahrnehmen und deuten das in einem religiösen Kontext“, so Schmidt. „Für die Entwicklung des Menschen gehört Mann und Frau dazu, aber das schließt nicht aus, dass es auch noch anderes gibt.“

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 21. Juli 2012 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe , .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.