Wie erkennen Lehrerinnen und Lehrer, wenn Kinder oder Jugendliche besondere Unterstützung brauchen, weil sie aus einer benachteiligten Familie stammen? Frank Eckardt erntet gewöhnlich betretenes Schweigen, wenn er solche Fragen stellt. Der Professor für sozialwissenschaftliche Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar weiß, warum: Armut ist in Deutschland gleichbedeutend mit „Unsichtbarkeit“ und „Sprachlosigkeit“. Es gebe aber Kriterien, wie Armut erkennbar wird: Benachteiligte Schülerinnen und Schüler haben oft kein Frühstück dabei, oder sie beteiligen sich nicht an Gesprächen, wenn es um den Beruf der Eltern oder um Urlaub geht.
In Frankfurt zählen mehr als 20?000 Kinder und Jugendliche – und damit nahezu jeder vierte junge Mensch – zu den Benachteiligten. Ihnen und ihren Eltern Perspektiven und Chancengleichheit zu eröffnen, zählt zum Kern der Forderungen, die die Sozialpolitische Offensive jetzt in neun Thesen zum Thema „Frankfurt am Main – Soziale Stadt“ aufstellte. Das Bündnis aus Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und anderen diskutierte sie mit Expertinnen und Experten bei einer gemeinsamen Veranstaltung mit der Frankfurter Rundschau.
In den „Neun Thesen“ (PDF) wird die Stadt zum Beispiel aufgefordert, keine Aufträge an Firmen zu vergeben, die weniger als einen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde zahlen. Ünal Kaymakci vom Rat der Religionen forderte auf dem Podium außerdem, der Anteil der dreißig Prozent Migranten und Migrantinnen in der Stadt müsse sich auch beim Rathauspersonal widerspiegeln. Schließlich sei die Stadtverwaltung mit rund 10?000 Beschäftigten der zweitgrößte Arbeitgeber in Frankfurt.
Wie schwierig es trotz aller Integrationsbemühungen für Jugendliche mit ausländischem Namen ist, einen Ausbildungsplatz zu finden, machte Dagmar Thiel vom Verein „Kind in Nied“ deutlich: „Sie sprechen einwandfreies Deutsch, sie sind Frankfurter, aber die Möglichkeiten, an Bildung und Ausbildung teilzunehmen, sind bei weitem nicht gegeben.“ Auch wenn ein Junge mit deutschem Namen schlechtere Noten als ein Einwanderer hat, „kriegt er trotzdem das Bewerbungsgespräch“.
Dennoch: „Es bewegt sich was in der Stadt“, glaubt David Dilmaghani vom Jugendwerk der Arbeiterwohlfahrt. „Jugendliche wollen sich engagieren, aber sie wissen häufig nicht wie.“ Räume der Begegnung, die Jugendliche sich selber aneignen können, fehlen. Mehr Kultur- und Begegnungszentren in den Stadtteilen fordert auch die Sozialpolitische Offensive. Und echte Bürgerbeteiligung, bevor Projekte der Stadtentwicklung in Angriff genommen werden. Damit sprach sie dem Publikum aus der Seele, das sich insbesondere wegen der explodierenden Mietpreise in der gesamten Innenstadt besorgt zeigte.
Siehe auch: „Die Behörden sind zu behäbig“